Schlaraffia: Der Uhu und seine Ritter

 

Artikel aus dem Scheinfurter-Tagblatt vom 21.01.2017,  S. 29,

(Rechte für Text und Bilder bei Oliver Schikora, Mediengruppe Main-Post)

 

 
 

Bild 1: Hohe Ehrung: Ritter Hermännle (rechts) wird in dern Fürstenstand erhoben durch die Oberschlaraffen Ritter Pionikles (Mitte) und Ritter Pay-san-o

 
 

 Männerbund Schlaraffia:

Freundschaft. Kunst und Humor, das sind die Eckpfeiler einer ungewöhnlichen Institution, die seit Jahrzehnten in Schweinfurt existiert.

 

 
 

„Schlaraffen hört“, ruft Oberschlaraffe Ritter Pionikles, „zu den Waffen.“

Schon springen sie auf, die gut 30 Herren älteren Semesters an diesem

Donnerstagabend in der Spinnmühle. Springen auf und gehen zum Regal, in dem fein säuberlich aneinander gereiht ihre Schwerter stehen. Holzschwerter.

 

Jeder nimmt sich eins, sie bilden eine Gasse in der Mitte des Raumes zwischen den Tischen, die Schwerter zum Spalier in die Höhe gereckt. Einige albern zunächst wie Buben herum, doch dann wird es schlagartig ernsthaft und feierlich: Die Gäste aus fremden Reychen werden angekündigt, laufen durchs klappernde Holzschwerter-Spalier. Pionikles bereitet jedem Gast einen herzlichen Empfang. Eine tiefe Verneigung vor dem ausgestopften Uhu, „Lulu“ rufen die Männer nach jeder Einreitung laut, dann kann die Sippung beginnen.

 
 

Bild 2: Spalier beim Einritt von Ritter Don Rubato von der Herbipolis (Würzburg) durch die Ritter Borscholotti und Ritter Mammodore von der Meyenburg (Schweinfurt)

 
 

Reych? Ritter? Sippung? Schlaraffen? Die dicken Fragezeichen in den Gesichtern von Fremden kennen die Schweinfurter Schlaraffen nur zu gut. Sie versuchen sie mit einem Schmunzeln und Engelsgeduld zu vertreiben. Denn es braucht seine Zeit, bis man dieses schlaraffische Treiben, das da in den Wintermonaten jeden Donnerstag im zweiten Stock der Spinnmühle in der so genannten Burg des Reyches an der Meyenburg geboten wird, auch nur ansatzweise als das verstanden hat, was es ist: ein (Rollen)-Spiel.

 

Am besten ist das Ausschlussprinzip. Was ist die Schlaraffia alles nicht?

Bestimmt kein Karnevalsklub, auch wenn die Hüte, die die Mitglieder tragen – in Schweinfurt sind sie weiß, blau und grün – an Elferratskappen erinnern. Sicher keine Loge, keine Freimaurer und auch kein Service-Klub wie Rotary oder Lions. Die Schlaraffia ist eine weltweite Vereinigung von im Moment gut 10 500 deutschsprachiger Männer, verbunden durch ihre Maxime Freundschaft, Kunst und Humor. Der Wahlspruch „In arte voluptas“, lateinisch für „Durch Beschäftigung mit der Kunst entsteht Freude“, trifft es ziemlich gut.

 
 

„Schlaraffe zu sein

ist ein Anker im Meer der Tollheiten der profanen Welt.“ 

 

Ritter Salbatross

 
 

Ritter Salbatross, so heißt der ehemalige Apotheker Klaus Wartenberg in der schlaraffischen Welt, ist eine halbe Ewigkeit Teil dieses besonderen Männerbundes. 49 Jahre ist es nun her, dass ihn ein Schlaraffe ansprach, ob er nicht mal mit zu einer Sippung, so nennen sich die wöchentlichen Treffen, kommen wolle. „Ich wusste nicht wie mir geschah“, erinnert Wartenberg schmunzelnd seine erste Sippung. Und sagt dann einen Satz, der die drei Stunden an diesem Donnerstagabend wohl so treffend wie nichts anderes auf den Punkt bringt: „Schlaraffe zu sein ist ein Anker im Meer der Tollheiten der profanen Welt.“

 

Die profane Welt, das ist aus schlaraffischer Sicht das Hier und Jetzt, die Realität. Der eigene Beruf, die politischen Einstellung oder Religion, all das sind verpönte Themen während des schlaraffischen Spiels. Sie spielen keine Rolle, wenn man sich trifft. Und mal ehrlich, wer sucht im Moment nicht nach einem Anker im Meer der Tollheiten nach diesem surrealen Jahr 2016 mit Brexit, Terror-Anschlägen in Nizza, Berlin, Würzburg und Ansbach, der Wahl eines gewissen Donald Trump zum Präsidenten der USA und noch vielem mehr, was einem im Wust der Ereignisse schon wie vor Jahren geschehen vorkommt. Die Hoffnung, dass 2017 irgendwie besser wird, nun ja, sagen wir, sie gibt es.

Ist so ein schlaraffischer Abend Jedermanns Sache? Nein, natürlich nicht.

Es wird in einer mittelalterlichen Fantasiesprache, dem Schlaraffenlatein, gesprochen; es gibt strenge Regeln, die man auf den ersten Blick nicht versteht. Aber es macht Spaß, wenn man tolerant und vorurteilsfrei ein ritualisiertes Spiel beobachtet, das klar definierten Regeln folgt, bei denen Respekt, Toleranz und Freundschaft ebenso hoch gehalten werden wie teils skurriler Humor. Den muss man teilen, vor allem wenn sich gestandene Männer der Verehrung ihres geliebten Wappentiers Uhu als Symbol der Weisheit widmen. Unzählige gibt es in unterschiedlichen Formen in der Spinnmühle. Ausgestopft auf dem Tisch, hinter dem Martin Scheele, alias Oberschlaraffe Ritter Pionikles, die Sippung leitet. Aus Holz geschnitzt an der Wand. An einer riesigen Kette um Pionikles' Hals. Aus Glas auf einem der Tische. Aufgemalt auf einem Ast sitzend vom Vollmond beschienen auf der Krawatte von Ritter Mammodore.

 
 

Bild 3: Der Uhu ist das Wahrzeichen der Schlaraffia

 
 

Als die Schlaraffia am 10. Oktober 1859 in Prag unter anderem vom Direktor des Deutschen Theaters, Franz Thomé, gegründet wurde, geschah dies, weil ein junger Künstler Thomés auf dessen Empfehlung nicht in einer Künstlervereinigung aufgenommen wurde, da ihm als angeblichen Proletarier Mittellosigkeit vorgeworfen wurde. In der Folge gründete man den Männerbund, der spöttisch die damals noch herrschende Aristokratie mit seinem schlaraffischen Spiel aufs Korn nimmt. Prag ist das erste Schlaraffen-Reych, so nennen sich die örtlichen Gruppierungen, alle anderen danach sind fortlaufend nummeriert. Schweinfurt hat 304.

 
 

Die Passion für das Mittelalter lässt sich historisch erklären: In der damals herrschenden Romantik wurde das Mittelalter stark idealisiert. Das sieht man in Kunst und Literatur immer wieder. So erklären sich auch die schlaraffischen Ständebezeichnungen Knappen, Junker und Ritter.
Die Kappe der Schlaraffen ist der Helm, der zur Rüstung, dem Umhang, gehört. Natürlich hat jeder Ritter auch ein Schwert – aus Holz, versteht sich. Und ein Wappen, das er, nachdem er zum Ritter wurde, selbst gestaltet. Eine Gruppierung wird Reych genannt, sie trifft sich in ihrer Burg zu einer so genannten Sippung. Diese verläuft nach festgelegtem Zeremoniell. Im ersten Teil des Abends stets gleich, auf wiederkehrende Regularien bedacht. Im zweiten Teil freier, wenn in „Fechsungen“ genannten Beiträgen in Wort oder Ton der Alltag persifliert wird.

 

Friedrich Nietzsche hat mal gesagt: „Im echten Manne ist ein Kind versteckt, das will spielen.“ Ja, auch das ist eine gute Beschreibung dessen, was die Schlaraffen machen – mit aller damit durchaus verbundenen Ernsthaftigkeit. Zum Beispiel in Sachen Sprache. Man muss wohlwollend schmunzeln, wenn ein gestandener Mann aufsteht und seinen Freunden erzählt, er habe an der „Quasselstrippe“ – dem Telefon – mit Ritter X gesprochen, der sich für den Abend entschuldigen müsse. Oder wenn Ritter Mammodore, im echten Leben Horst Fischer, lächelnd davon erzählt, wie schön es eine Woche zuvor gewesen sei, als die Freunde aus dem Erlangener Reych zur traditionellen Feuerzangenbowle nach Schweinfurt gekommen waren. Wahrscheinlich können jüngere Semester mit der Geschichte über Nobelpreisträger Nils Bor und wie er einstmals mit einem Barometer die Höhe eines Hochhauses in Kopenhagen bestimmte so überhaupt nichts anfangen. Irgendwie zum schmunzeln war sie trotzdem. Und es ist beeindruckend tiefgründig, wenn einem der Ritter, der nach überstandener schwerer Krankheit zum ersten Mal wieder dabei ist, ein Lied gesungen wird, auf dass er „treulich beschirmt von Uhu“ gesund bleibe.

 
 

Nach rund drei Stunden ist der vergnügliche, selbst für einen Fremden kurzweilige Abend vorbei. „Schlaraffen hört“, sagt Ritter Pionikles ein letztes Mal. Alle stehen auf. Schwerter braucht's jetzt keine. Sie halten sich an den Händen und singen ein letztes Lied. Eine Strophe zur Melodie der Bayernhymne lautet: „Kunst, Humor samt Freundschaft blühe, stets in unserem Burgenbau, dass erstrahlen stolz die Farben unseres Reyches grün-weiß-blau.“